Die Lagune der Flamingos: Roman (German Edition) by Caspari Sofia

Die Lagune der Flamingos: Roman (German Edition) by Caspari Sofia

Autor:Caspari, Sofia [Caspari, Sofia]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783838719306
Herausgeber: Bastei Luebbe
veröffentlicht: 2012-11-30T23:00:00+00:00


Jenny saß in ihrem Schaukelstuhl, während sie sich in die Deutsche Arbeiterzeitung vertiefte. John hatte sie auf den Brief hingewiesen – seinen Brief – und wartete nun gespannt auf ihre Reaktion. Es waren ihre Berichte, wie sie erkannte, die er in scharfe Worte gefasst hatte. Stumm las Jenny die Zeilen bis zum Ende durch. Den letzten Abschnitt las sie noch einmal laut: »Man findet diese Frauen in Buenos Aires oder Rio de Janeiro, denn der Handel mit ihnen ist ein lukratives Geschäft. Die ›schöne Ware‹ aus Europa findet leicht ihre Käufer.«

John, die Arme vor dem Körper verschränkt, begann jetzt, unruhig auf und ab zu wandern. Sein Gesichtsausdruck war grimmig.

Jenny sah wieder auf den Brief, leckte sich über die Lippen und fuhr fort. »Wenn nur irgendjemand erfahren möchte, wie man die Mädchen behandelt, dann rate ich ihm, einen Spaziergang über die Calle Juan und die Calle Lavalle zu machen, jene zwei Straßen, die der Volksmund hier nur Calles de Sangre y Lágrimas, die Straßen des Blutes und der Tränen, nennt.« Jenny hob den Kopf. »Ich weiß nicht …«

»Was? Denkst du, es ist übertrieben?« John schaute sie empört an.

»Nein, aber du hättest vielleicht eine etwas andere Wortwahl treffen können.«

»Weniger blumig?« In einer Mischung aus Herausforderung und Vorwurf sah er sie an.

»Ach, John!« Jenny erwiderte seinen Blick ärgerlich.

Warum streiten wir uns in letzter Zeit nur so häufig, fuhr es ihr zugleich durch den Kopf, warum ist er nur immer so gereizt? Ich dachte, wenigstens wir wären einer Meinung. Es reicht doch, wenn ich mich mit Mama streite. Nun, Jenny unterdrückte einen Seufzer, John war mit großen Plänen nach New York gefahren, hatte bisher allerdings kaum etwas von seiner Reise erzählt. Jenny beugte sich zu der Zitronenlimonade hinüber, die Ruth ihnen gebracht hatte, goss ihre beiden Gläser wieder voll und reichte John eines.

»Wie war es eigentlich in New York?«

Er zuckte die Achseln. »Anders als ich …«, setzte er dann an, verstummte aber sogleich wieder, denn es klopfte an der Tür, und gleich danach wurde sie geöffnet.

»Jenny?«, war Rahels Stimme zu hören, dann brach die ältere Frau ab. »Oh, entschuldige, ich wusste nicht, dass du Besuch hast.«

Jenny stand auf, denn ihre Mutter brachte neuen Besuch – Estella und Marlena, die John nun beide nicht aus den Augen ließen. Wie zu erwarten machte Estella sofort Eindruck auf John. Er musterte sie freimütig und schenkte ihr ein Lächeln. Marlena grüßte er wie eine alte Bekannte, Rahel dagegen so knapp, dass es fast unhöflich wirkte.

Sie hat ihn eben noch nie gemocht, fuhr es Jenny durch den Kopf, sie hält ihn für einen Blender und Schwätzer, der redet und nichts tut. Als Jenny ihrer Mutter gegenüber unlängst erneut die Fürsorgearbeit infrage gestellt hatte, hatte Rahel ihr auf den Kopf zugesagt, John spreche aus ihr. Auf ihre ganz eigene geduldige Art hatte sie Jenny zu erklären versucht, dass er im Unrecht sei. Jenny schüttelte die unangenehmen Gedanken schnell ab.

»Estella«, wandte sie sich dann an Marlenas Freundin, »wie waren deine Ferien? Wie geht es deiner Mutter und Pedro? Was macht dein Bruder?«

»Es geht allen gut, danke.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.